„Wenn sich jetzt nichts ändert, werden wir bald massive Probleme bekommen."

Benedict Schulz, Inhaber der Adler und Albatros Apotheke in Hilden bei Düsseldorf.

Verzweifelte Eltern, die keinen Fiebersaft für Ihr Kind bekommen. Chronisch Kranke, die nicht mit Blutdruck- oder Cholesterinsenkern versorgt werden können. Noch sind es nur einzelne Medikamente, die kaum oder schwer lieferbar sind. Doch die Liste nicht verfügbarer Arzneimittel wird länger. Warum das so ist und warum viele Apotheken am 14. Juni geschlossen bleiben, erklärt Benedict Schulz, Apotheker aus Hilden.

 

Sanacorp: Herr Schulz, Sie betreiben zwei Apotheken in Hilden bei Düsseldorf. Wie steht es derzeit um die Versorgung mit Arzneimitteln und Medikamenten?

Schulz: Die Lage ist nach wie vor sehr angespannt und vor allem nicht stabil. Bei den Fiebersäften hat sich die Situation zwischenzeitlich etwas verbessert, aber es sind schon wieder weniger Präparate lieferbar. Das Problem ist, dass immer weniger Hersteller diese Fiebersäfte produzieren, weil es sich einfach finanziell nicht lohnt. Wirklich bedenklich finde ich allerdings, dass nun auch weitere Basismedikamente wie bestimmte Antibiotika oder auch Cholesterinsenker nicht mehr verfügbar sind. Lieferengpässe haben sich also auf verschiedene Arzneimittelgruppen ausgeweitet und das spüren wir deutlich.

Können Sie das in der Apotheke abfedern oder müssen Sie die Patienten ohne Medikamente nach Hause schicken?

Schulz: Meist können wir helfen. Das hat verschiedene Gründe und wir versuchen wirklich alles, um Alternativen für jeden Patienten zu besorgen. Oft weichen wir auf andere Präparate oder Wirkstoffdosierungen aus und können nach Rücksprache mit dem Arzt unsere Kunden dann mit anderen Dosierungen oder Präparaten von anderen Herstellern versorgen. Das ist aber zeitlich sehr aufwendig. Denn zunächst müssen wir recherchieren, was überhaupt verfügbar ist und dann die Alternative mit dem Arzt besprechen. Bei der Anzahl an Lieferausfällen ist das für unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen in der Apotheke ziemlich stressig. Und natürlich auch mit Druck verbunden. Man steht in der Verantwortung und möchte die Kunden bestmöglich versorgen.

Außerdem stellen wir wieder mehr Rezepturen selbst her. Also zum Beispiel Fiebersäfte – allerdings ist hier die Bürokratie, um die selbst hergestellten Präparate zu verkaufen, sehr aufwendig. Es geht hier vor allem um Dokumentationen und Genehmigungen. Zum Beispiel müssen wir extra Genehmigungen von der Amtsapothekerin einholen. Aber unsere Kunden sind super dankbar für den Service – das spornt an und deshalb macht man es trotz Mehraufwand natürlich gerne.

Darüber hinaus gibt es nun auch die Möglichkeit, ausländische, nicht in Deutschland zugelassene Arzneimittel zu importieren – dafür gibt es eine Sondergenehmigung. Aber auch hier ist die Beschaffung nicht einfach.

Und zu guter Letzt helfen wir uns in der Apothekerschaft natürlich gegenseitig. Wir sind Heilberufler und der Patient und seine Gesundheit stehen für uns im Vordergrund. Wenn das Medikament also in einer anderen Apotheke als der eigenen verfügbar ist, dann schicken wir unsere Kunden eben dort hin.

Die Adler-Apotheke in Hilden

Welche langfristigen Lösungen braucht es, um die angespannte Lage zu beheben?

Schulz: Viele Arzneimittel lohnen sich in der Produktion einfach nicht mehr. Der Kostendruck ist enorm. Denn die gesetzlichen Krankenkassen haben sogenannte Rabattverträge mit den Herstellern, bei denen die Preise fest geregelt sind. Auch die Auslagerung der Produktion ins Ausland und der Zusammenbruch von Lieferketten sind für die angespannte Lage verantwortlich.

Ganz generell muss allen Beteiligten bewusst werden, dass eine verlässliche und qualitativ hochwertige medizinische Versorgung ihren Preis hat. Nur billig geht nicht. Die Konsequenzen spüren die Menschen, wenn sie heute in die Apotheke kommen. Vor zwei oder drei Jahren wäre es noch unvorstellbar gewesen, verzweifelte Eltern auf der Suche nach Kinderfiebersaft ohne Medikament nach Hause schicken zu müssen. Heute ist das leider Realität. Deshalb muss bei den Entscheidern und generell in der Politik ankommen, dass man Qualität und Sicherheit in der Arzneimittelversorgung nicht dem Preis unterordnen sollte.

Mit welche weiteren Herausforderungen sehen Sie sich sonst noch konfrontiert.

Neben der angespannten Lage, was die Arzneimittelverfügbarkeit betrifft, geht es um immer größere Hürden und Ansprüche. Vor allem die überbordende Bürokratie ist ein echter Bremser. Unsere Mitarbeiter haben immer mehr administrative Aufgaben zu erledigen. Darüber hinaus ist natürlich auch der finanzielle Aspekt ein Thema. Seit 10 Jahren bekommen wir die gleiche Vergütung – obwohl Personalkosten und Betriebskosten seitdem natürlich gestiegen sind. Und für die Besorgung von nicht lieferbarer Ware bekommen wir gerade einmal eine Pauschale von 50 Cent – das ist weder rentabel noch wertschätzend.

Nehmen deshalb so viele Apotheken am Protesttag teil?

Ja, denn es ist an der Zeit, auf diese gravierenden und schwierigen Verhältnisse im Apothekenumfeld hinzuweisen. So wie es läuft, geht es nicht mehr. Im letzten Jahr haben mehr als 400 Apotheken geschlossen, Tendenz steigend. Die Menschen auf dem Land spüren schon heute sehr deutlich, welche negativen Konsequenzen das hat.

Ob die Apotheke an dem Tag voll geschlossen bleibt oder man den Tag nutzt, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen und aufzuklären, muss jeder Apothekeninhaber für sich selbst entscheiden. Unsere beiden Apotheken bleiben am 14. Juni geschlossen – denn wir können so nicht weitermachen und wir möchten damit auf die brisante Lage hinweisen.

 

Die Albatros Apotheke in Hilden

Wenn Sie Karl Lauterbach einen Rat geben könnten, was würden Sie ihm sagen?

Ich bin ganz ehrlich: Ich möchte nicht in seiner Haut stecken, weil man als Politiker natürlich vielen Interessen gerecht werden muss. Aber ich würde ihm raten, mal eine Apotheke zu besuchen, sich wirklich Zeit für Gespräche und Prozesse zu nehmen und sich intensiv mit unseren Herausforderungen auseinanderzusetzen. Ich glaube, dass würde das Verständnis für unsere Anliegen schärfen. Er darf gerne nach Hilden kommen und ich lade ihn herzlich in unsere Apotheken ein.

 

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